Dr.-Ing. Hubert Zitt

"Mein Name ist Zitt,

Hubert Zitt

ich habe die Lizenz zum Löten."

Leseprobe - ISDN und DSL für PC und Telefon, Kapitel 6

ISDN und DSL für PC und Telefon

Buchvorstellung

Einleitung 

Inhaltsverzeichnis 

Leseproben

6 ISDN – eine Einführung

6.1 Geschichtliche Entwicklung von ISDN
6.2 Der Weg zu ISDN
6.3 Schnittstellen am ISDN-Anschluss
6.4 B-Kanäle statt Leitungen
6.5 Die Funktion des D-Kanals
6.6 Dienste und Diensterkennung

ISDN steht für Integrated Services Digital Network. Nochmals die Übersetzung: diensteintegriertes (oder auch Dienste integrierendes) digitales Fernmeldenetz.

Die Vorteile der digitalen Technik wurden im ersten Teil bereits genannt. Die verschiedenen Dienste sind z.B. Telefonieren, Faxen, Datenfernübertragung usw. Warum diese Dienste in das digitale Netz integriert sind und welche Vorteile dies hat, wird im weiteren Verlauf meiner Erläuterungen deutlich.

Vorab ist es für das weitere Verständnis notwendig, drei Begriffe kurz zu erläutern, auf die ich im weiteren Verlauf noch näher eingehen werde: Der ISDN-Basisanschluss(BaAs) wurde für den privaten Bereich und für kleinere Firmen konzipiert. Bei dieser Anschlussart stehen zwei so genannte B-Kanäle zur Verfügung, was bedeutet, dass zwei Telefongespräche gleichzeitig geführt werden können. Für Großkunden gibt es den ISDN-Primärmultiplexanschluss (PMxAs) mit 30 B Kanälen. Mit einem Primärmultiplexanschluss können also 30 Teilnehmer gleichzeitig telefonieren.

6.1 Geschichtliche Entwicklung von ISDN

Als 1989 in Deutschland der Betrieb von ISDN aufgenommen wurde, gab es von den europäischen Ländern noch keinen einheitlichen Standard für ein digitales Telefonnetz. Jedes Land kochte also zunächst sein eigenes Süppchen. Die damalige Technik wird „nationales ISDN“ genannt.

Bis man zu einem einheitlichen Standard für das digitale Telefonieren gelangte, vergingen 15 Jahre. Erst im Dezember 1993 wurde EURO-ISDN eingeführt, das sich weltweit als Standard für digitales Telefonieren durchgesetzt hat. Die Grundlage für EURO-ISDN bildete das Memorandum of Understanding on the Implementation of a European ISDN, (MoU). Darin verpflichtete sich die Deutsche Telekom 1989 (als einer von 26 Netzbetreibern aus 20 europäischen Ländern), ein ISDN auf der Basis eines europäischen Standards einzuführen. Für die Umstellung auf EURO-ISDN waren Softwareänderungen in den bereits existierenden digitalen Vermittlungsstellen erforderlich. Diese Änderungen wurden im Mai 1994 abgeschlossen. Seitdem ist EURO-ISDN in Deutschland kommerziell verfügbar. Allerdings dauerte es noch etwa ein Jahr bis ISDN in Deutschland flächendeckend angeboten werden konnte. Das lag daran, dass es noch nicht in jedem Ort eine digitale Vermittlungsstelle gab. Obwohl 1995 noch immer nicht alle Vermittlungsstellen auf digitale Technik umgerüstet waren, konnten bei Bedarf (von anderen digitalen Vermittlungsstellen in der Nähe) übergangsweise ISDN-Anschlüsse für die Kunden geschaltet werden. In diesem Fall war es in der Regel nicht möglich, die bisherige Rufnummer beim Umstieg auf ISDN zu behalten. Für Firmen war dies ein echtes Problem; denken Sie z.B. an den Aufdruck der Telefonnummer auf Firmenfahrzeugen. Ende 1997 war dann die Umrüstung aller Vermittlungsstellen in Deutschland auf die digitale Technik abgeschlossen. Damit war auch das Problem aus der Welt, dass man beim Umstieg auf ISDN unter Umständen seine Rufnummer nicht behalten konnte.

Das nationale ISDN ist in Deutschland heute (2003) immer noch parallel zum EURO-ISDN in Betrieb. Dies liegt vor allem daran, dass es noch ISDN-Kunden aus der Zeit vor 1994 gibt, deren Geräte noch nicht für EURO-ISDN ausgelegt sind. Das nationale ISDN unterscheidet sich vom EURO-ISDN vor allem durch das Protokoll. ISDN-Endgeräte aus den Jahren 1994 und 1995 waren für beide Protokolle ausgelegt. Ab 1996 hat man bei der Entwicklung neuer Geräte dann immer öfter auf das Protokoll des nationalen ISDN verzichtet.

Für das nationale ISDN wird/wurde ein Protokoll mit dem Namen 1TR6 verwendet. TR steht für Technische Richtlinie; 1TR6 ist die erste Technische Richtlinie Nr. 6. Man erkennt deutlich den nationalen Charakter. EURO-ISDN benutzt das Protokoll E-DSS1. Dies steht für European Digital Subscriber Signalling System Number 1, zu Deutsch sinngemäß: Europäisches digitales Teilnehmersignalsystem Nr. 1. Das Protokoll beruht auf der ITU Empfehlung T.411. Bereits sehr früh hat man den Buchstaben E aus dem Namen für das Protokoll herausgenommen, um der Bezeichnung einen internationalen Charakter zu geben. Das Protokoll heißt heute also offiziell DSS1.

Seit der Einführung von EURO-ISDN im Dezember 1993 wird das nationale ISDN von der Telekom nicht mehr aktiv vermarktet und voraussichtlich zum 31. Dezember 2005 eingestellt. Wer sich heutzutage für ISDN entscheidet, erhält also automatisch einen EURO-ISDN-Anschluss. Alles, was ab dem nächsten Abschnitt in diesem Buch erläutert wird, bezieht sich deshalb auch auf EURO-ISDN. Ich werde dies nicht mehr explizit dazuschreiben.

Noch eine traurige Bemerkung zum Thema EURO-ISDN: Der Name lässt ja vermuten, dass es sich hierbei um einen europaweit einheitlichen Standard handelt. Doch weit gefehlt. Ein ISDN-Telefon, das für einen deutschen ISDN-Anschluss konzipiert wurde, können Sie z.B. in der Schweiz nicht oder nur begrenzt verwenden. Auch in Frankreich werden Sie vermutlich Schwierigkeiten damit haben. Für die Hersteller von ISDN-Geräten bedeutet dies, dass sie für jedes Land einen eigenen Apparat entwickeln müssen. Äußerlich sind die Geräte zwar oft gleich, aber sie benötigen eine länderspezifische Firmware (eingebaute Software). Beispiel: Die Firma ASCOM verkaufte vor ein paar Jahren auf dem deutschen Markt ISDN-Telefone mit der Typenbezeichnung EURIT. In der Schweiz wurden die äußerlich gleichen Geräte unter dem Namen RUBIN verkauft. Ein RUBIN-Telefon konnte in Deutschland nicht verwendet werden. Ein EURIT-Telefon dagegen funktionierte in der Schweiz nicht oder nur begrenzt. Schade eigentlich, dass so etwas heute noch passiert.

Nach der Fertigstellung eines derart aufwändigen Projekts wie EURO-ISDN will man natürlich möglichst schnell möglichst viele Kunden gewinnen. Durch eine Fördermaßnahme der Telekom (Mitte 1995 bis Mitte 1996) wurde die Anzahl der ISDN-Teilnehmer beträchtlich gesteigert. Diese Maßnahme führte außerdem dazu, dass ISDN in der heutigen Zeit in aller Munde ist.

Übersicht über die geschichtliche Entwicklung von ISDN:

1970

Beginn der digitalen Übertragungstechnik mit Puls Code Modulation (PCM)

1979

Entscheidung der Deutschen Bundespost, die Vermittlungsstellen zu digitalisieren

1980

Von der damaligen CCITT (heute ITU) werden Richtlinien für ISDN festgelegt.

1982

ISDN-Entscheidung und Konkretisierung der Pläne der Deutschen Bundespost

1884

Es folgen weitere Empfehlungen der damaligen CCITT.

1987

ISDN-Pilotprojekt wird in Deutschland gestartet.

1989

Beginn des offiziellen Betriebs des nationalen ISDN am 8. März auf der CeBIT

1991

Bis Ende des Jahres waren ca. 285.000 B Kanäle vermarktet.

1993

Im Oktober waren über eine Million B-Kanäle geschaltet.

1994

Einführung von EURO-ISDN

1995

Beginn einer Fördermaßnahme für EURO-ISDN durch deren Betreiber Telekom. Dies führte zu einem sprunghaften Anstieg von ISDN-Anschlüssen. Im März 1995 waren über zwei Millionen B Kanäle geschaltet, im August 1996 waren es bereits über fünf Millionen.

1996

Ein EURO-ISDN-Anschluss wird für die private Nutzung erschwinglich. Der monatliche Grundpreis wurde von damals knapp 80 DM auf unter 50 DM gesenkt.

1997

Alle Vermittlungsstellen in Deutschland sind digitalisiert. Dies eröffnet viele neue Möglichkeiten beim Telefonieren.

1998

Bis November waren von der Deutschen Telekom über zehn Millionen B Kanäle vermarktet.

2001

Im September waren von der Deutschen Telekom über 20 Millionen B Kanäle geschaltet.

2005

Die Telekom wird das nationale ISDN einstellen.

Abschließend noch eine Grafik zum Absatz von ISDN-Anschlüssen in Deutschland: In Abbildung 6.1 wird das Wachstum des ISDN der Deutschen Telekom gezeigt. Dargestellt ist die Vermarktung von B Kanälen, was bei der analogen Technik der Anzahl von Telefonanschlüssen entsprechen würde. Bei den Basisanschlüssen (BaAs) kann die Telekom ein stetiges Wachstum verzeichnen. Bei den Primärmultiplexanschlüssen (PMxAs) ist ein stagnierender Verlauf festzustellen. Das mag unter anderem damit zusammenhängen, dass die meisten Großkunden mittlerweile auf ISDN umgestellt haben.

6.2 Der Weg zu ISDN

Beim herkömmlichen Telefonnetz funktionierte alles mit analoger Technik – analoge Endgeräte, analoge Vermittlungsstellen und analoge Übertragungstechnik. In Abbildung 6.2 wird dies mithilfe einer Grafik veranschaulicht.

Um digitale Daten (z.B. Computerdaten oder Faxdaten) über dieses analoge Netz zu übertragen, mussten die digitalen Daten in analoge Daten umgewandelt werden. Beim Empfänger angelangt, wurden die analogen Signale wieder in digitale Signale zurückverwandelt. Zur Übertragung von Computerdaten wurden dazu spezielle Geräte zur Anpassung und Signalumwandlung benötigt: Modems (siehe Abbildung 6.3).

Der erste Schritt zu ISDN war, die Vermittlungsstellen zu digitalisieren. Zunächst sollten dazu digitale Vermittlungsstellen für den Ortsverkehr (DIVO) und für den Fernverkehr (DIVF) gebaut werden. Dieses Konzept wurde jedoch nicht in der Form realisiert. Stattdessen sind intelligente digitale Teilnehmervermittlungsstellen (TVSt) für den Orts- und Fernbereich errichtet worden. Um die intelligente digitale Vermittlungsstelle von der „dummen“ analogen Vermittlungsstelle zu unterscheiden, wird im Folgenden immer die Abkürzung TVSt benutzt, wenn von digitalen Vermittlungsstellen die Rede ist.

Die Digitalisierung der Vermittlungsstellen hat für die Telekom unter anderem den Vorteil, dass man Telefonteilnehmer am Bildschirm an- bzw. abmelden kann. Bei analogen Vermittlungsstellen wurden die Leitungen für einen neuen Telefonkunden an eine Anschlussleiste gelötet. Das wichtigste Werkzeug des Fernmeldetechnikers in einer analogen Vermittlungsstelle war also der Lötkolben (dies ist kein Witz).

Im nächsten Schritt wurde die Übertragungstechnik zwischen den Vermittlungsstellen digitalisiert (siehe Abbildung 6.4).

In Abbildung 6.4 ist die Situation bei einem heutigen herkömmlichen Telefonanschluss dargestellt. Analoge Vermittlungsstellen gibt es in Deutschland keine mehr. Auf der Netzseite funktioniert lediglich die Übertragung vom Teilnehmer zur Vermittlungsstelle noch analog. Der Teilnehmer merkt von der anderen Technik relativ wenig. Ein Vorteil, den man als „analoger Teilnehmer“ an einer digitalen Vermittlungsstelle hat, ist, dass man im Tonwahlverfahren wählen kann. Weitere Vorteile werden in Kapitel 15 genannt.

Der letzte Schritt zu einem vollkommen digitalisierten Fernmeldenetz war nun, auch die analog funktionierenden Telefone durch solche mit digitaler Technik zu ersetzen. Außerdem wurde auch die Übertragung vom Teilnehmer zur Vermittlungsstelle in digitaler Technik realisiert (siehe Abbildung 6.5).

Zum Anschließen digitaler Endgeräte an die Leitungen des Telefonnetzes wird ein so genannter NT benötigt, der beim Kunden installiert wird. NT steht fürNetwork Termination. Der englische Begriff Termination bedeutet so viel wie Endstation oder Abschluss. Der NT ist der Abschluss des allgemeinen Netzes und der Übergabepunkt zur eigenen Anlage. Ein NT für einen Basisanschluss heißt NTBA (Network Termination for ISDN Basic Access). Die Abkürzung NTBA kann man natürlich auch für die bilinguale BezeichnungNetwork Termination-Basisanschluss verwenden. Dies ist zwar nicht richtig, kann man sich aber gut merken. Beim Primärmultiplexanschluss heißt der Übergabepunkt NTPM (Network Termination for ISDN Primary Rate Access).

Ich habe in Abbildung 6.5 bewusst ein anderes Telefon benutzt als in den Grafiken zur analogen Telefontechnik. Dies soll verdeutlichen, dass analoge Telefone nicht direkt am ISDN-Anschluss betrieben werden können. Die Betonung liegt hier auf „direkt“. Um analoge Geräte am ISDN-Anschluss zu betreiben, benötigt man entweder eine ISDN-Tk Anlage oder einen so genannten Terminaladapter (TA). Mit diesen Geräten werden die analogen Signale der Telefone in digitale Signale für ISDN umgewandelt und umgekehrt (siehe Abbildung 6.6).

6.3 Schnittstellen am ISDN-Anschluss

In Abbildung 6.6 ist bereits zu erkennen, dass man bei einem ISDN-Anschluss unter Umständen einige Geräte hintereinander schalten muss. Die Schnittstellen zwischen diesen Geräten unterscheiden sich zumindest im Protokoll und eventuell auch hardwaremäßig. Zwischen der Vermittlungsstelle und dem NT wird, wie wir bereits wissen, die Zweidraht-Infrastruktur des Telefonnetzes genutzt. Zwischen dem NT und dem TA wird eine 4-adrige Leitung benötigt; nach dem TA wird wieder eine 2-adrig Leitung verwendet. Um hierbei den Überblick zu behalten, hat man die Schnittstellen (sie werden auch Bezugspunkte genannt) mit Buchstaben gekennzeichnet (siehe Abbildung 6.7).

Man beginnt mit dem Buchstaben R an der herkömmlichen analogen Schnittstelle beim Teilnehmer und verwendet einfach die folgenden Buchstaben des Alphabets. An der S Schnittstelle werden digitale Endgeräte angeschlossen. Das Konzept mit einem NT1 und einem NT2 wurde in Deutschland so nicht umgesetzt. Die T Schnittstelle ist deshalb in Deutschland nicht zugänglich, sie liegt innerhalb des in Deutschland verwendeten NT. Die Zweidraht-Schnittstelle, bestehend aus den Adern La und Lb des Telefonanschlusses, wurde mit U gekennzeichnet. Die Adern La und Lb enden in der Vermittlungsstelle auf dem Leitungsabschluss LT (Line Termination). Die V Schnittstelle hat für den Leser dieses Buches keine Bedeutung.

Die einzelnen Schnittstellen werden nun noch entsprechend der Anschlussart und dem Übertragungsmedium indiziert. Dabei steht eine "0" (Null) für einen Basisanschluss und "2M" oder einfach nur "2" für den Primärmultiplexanschluss. Der Primärmultiplexanschluss benötigt auf der Telefonleitung eine Übertragungsgeschwindigkeit von 2 Megabit/s, daher die Bezeichnung 2M. Für das Übertragungsmedium wird ein "K" für Kupfer und ein "G" für Glasfaser (Lichtwellenleiter) verwendet. Das Übertragungsmedium ist nur für die U Schnittstelle relevant, bei allen anderen Schnittstellen wird ausschließlich Kupfer verwendet. Beispiele:

  • S0 ist die S-Schnittstelle am Basisanschluss (BaAs)
  • S2M ist die S-Schnittstelle am Primärmultiplexanschluss (PMxAs)
  • UK0 ist die U-Schnittstelle am BaAs bei Verwendung von Kupferleitungen
  • UK2 ist die U-Schnittstelle am PMxAs bei Verwendung von Kupferleitungen
  • UG2 ist die U-Schnittstelle am PMxAs bei Verwendung von Glasfaserleitungen

Die S Schnittstelle ist, wie bereits erwähnt, eine Vierdraht-Schnittstelle. Einen Begriff für eine geschlossene Gruppe von Leitungen, an die mehrere dafür geeignete Geräte angeschlossen werden können, kennen Sie vielleicht aus der PC-Welt. Ich meine den Begriff Bus. Beim Basisanschluss spricht man vom S0-Bus. An diesen S0 Bus werden die ISDN-Endgeräte (oder Zwischengeräte zum Betreiben analoger Geräte am ISDN) angeschlossen (siehe Abbildung 6.8).

Die verschiedenen ISDN-Anschlussarten werden in Kapitel 7 noch näher beschrieben.

6.4 B-Kanäle statt Leitungen

Wenn man bei ISDN mehrere externe Telefongespräche (Amtsgespräche) gleichzeitig führt, wird dazu nur eine Leitung (eine Doppelader) benötigt. Man spricht bei ISDN deshalb nicht mehr von Anschlüssen oder Leitungen, sondern von Kanälen. Der Laie wird sich zunächst darüber wundern, dass man mehrere Telefongespräche über die gleiche Leitung führen kann, ohne dass es dabei zu Beeinflussungen kommt. Beim Kabelfernsehen wundert sich niemand darüber, dass über die gleiche Leitung mehrere Sender, also mehrere Kanäle, übertragen werden. Das Prinzip ist also nicht neu. Bei ISDN wird jedoch eine andere Technik angewandt. Beim Kabelfernsehen (zur Zeit noch analoge Übertragung) werden die verschiedenen Kanäle auf verschiedenen Frequenzen übertragen. Bei ISDN (digitale Übertragung) werden die verschiedenen Signale im Zeitmultiplexverfahren übertragen. Hierauf werde ich nicht näher eingehen. Wir halten fest, dass es möglich ist, mehrere Kanäle (sei es beim Kabelfernsehen oder bei ISDN) über die gleiche Leitung zu übertragen.

Die Übertragung von mehreren Kanälen über die gleiche Leitung ist uns im Übrigen in diesem Buch schon einmal begegnet, nämlich bei der Betriebsart Vollduplex (siehe Kapitel 2). Dort war auch die Rede von Übertragungskanälen.

Die Kanäle, die bei ISDN zur Übertragung von Sprache oder Daten genutzt werden, heißen Nutzkanäle oder auch Basiskanäle, abgekürzt mit B Kanäle. Bei einem Basisanschluss hat man zwei dieser Nutzkanäle zur Verfügung, was bedeutet, dass man zwei externe Gespräche (Amtsgespräche) gleichzeitig führen kann. Beim Primärmultiplexanschluss sind es 30 B Kanäle.

Über einen B Kanal können nur digitale Daten übertragen werden. Während beim herkömmlichen Telefonanschluss digitale Daten in analoge umgesetzt werden mussten, um sie übertragen zu können (siehe Abbildung 6.3), ist es bei ISDN also gerade umgekehrt. Hier bedarf es einer Anpassung an die Übertragungstechnik des Netzes bei analogen Signalen.

Die analoge Sprache muss zunächst in digitale Signale umgeformt werden, bevor sie übertragen werden kann. Dies geschieht im ISDN-Telefon oder in einem Gerät, das man zwischenschalten muss, wenn man ein analoges Telefon am ISDN betreibt. Das analoge Signal (Sprache) wird dabei abgetastet und zwar 8000-mal in der Sekunde (siehe Abbildung 2.7). Technischer Hintergrund: Nach dem Abtasttheorem von Shannon1 muss die Abtastfrequenz mindestens doppelt so hoch sein wie die höchste Signalfrequenz. In Kapitel 3 wurde erläutert, dass für eine gute Verständlichkeit der menschlichen Sprache die Frequenzen zwischen 300 Hz und 3400 Hz übertragen werden müssen.

Wie in Kapitel 2 bereits erläutert, wird ein analoges Signal bei der Digitalisierung für ISDN in 256 Werte aufgeteilt. Jeder Wert wird in ein digitales Kodewort umgewandelt, das eine Länge von acht Bit hat. Ein 8 Bit-Kodewort wird in der Übertragungstechnik des ISDN Oktett genannt. Die Sprachinformationen bestehen dann also aus 8000 Oktetts pro Sekunde. Für die Übertragung bedeutet dies, dass acht Bit übertragen werden müssen und das 8000-mal in der Sekunde. 8000 Werte pro Sekunde mal acht Bit ergibt 64.000 Bit/s (64 kBit/s). Diese Übertragungsgeschwindigkeit wird also benötigt, um menschliche Sprache gut verständlich digital zu übertragen. Zufällig ist dies gerade die Übertragungsgeschwindigkeit eines B Kanals.

Mit der Übertragungsgeschwindigkeit von 64 kBit/s können auch andere Signale wie Computerdaten oder Faxdaten über einen B Kanal übertragen, und zwar in der Betriebsart Vollduplex. Die Übertragungsgeschwindigkeit von 64 kBit/s ist also gleichzeitig in beide Richtungen möglich.

Was die Art der Übertragung angeht, so macht ISDN keinen Unterschied zwischen Sprache und Computerdaten oder Faxdaten. Es wird lediglich bei jeder Übertragung eine Kennung (Dienstekennung) mitgesendet, aus der hervor geht, um welche Art von Daten es sich handelt (Abschnitt 6.6). Diese Dienstekennung wird über den D Kanal übertragen.

6.5 Die Funktion des D-Kanals

Bei der Übertragung digitaler Daten muss durch ein Protokoll festgelegt werden, wie die Übertragung und die Verarbeitung der Daten zu geschehen hat (siehe Kapitel 2). Wie schon erwähnt, heißt das Protokoll bei EURO-ISDN DSS1.

Ein wirklich entscheidender Unterschied von ISDN gegenüber der Übertragung von digitalen Signalen bei einem analogen Telefonanschluss, z.B. mit einem Modem, liegt darin, dass bei ISDN das Protokoll über einen separaten Kanal übertragen wird. Dieser Kanal heißt Steuerkanal oder D Kanal. Das Trennen der Steuersignale von den Nutzsignalen ist die Grundlage vieler ISDN-Leistungen. Das Verfahren gestattet dem Teilnehmer unter anderem Zugriffe auf bestimmte Funktionen der Vermittlungsstelle während einer Verbindung. Weiterhin bedeutet das Auslagern von Steuerinformationen bei der Übertragung, dass die eigentlichen Nutzdaten dadurch mit größerer Geschwindigkeit übertragen werden können. Bei der herkömmlichen Technik mit einem Modem wird die Übertragungsgeschwindigkeit durch ein aufwändiges Protokoll vermindert.

Über den Steuerkanal (D Kanal) kommuniziert ein ISDN-Gerät während einer Verbindung ständig mit der Vermittlungsstelle (TVSt). Die Kommunikation beginnt sogar schon vorher, selbst das Abheben des Hörers wird sofort der TVSt mitgeteilt. Anders ausgedrückt, die TVSt ist ständig über den Status aller Teilnehmer informiert. Unter Umständen findet auch nach dem Auflegen des Hörers noch eine Kommunikation über den D Kanal statt, z.B. zur Übertragung der Verbindungskosten für das unmittelbar zuvor geführte Telefongespräch. Auch das Wählen funktioniert über den D Kanal. Der TVSt wird die Rufnummer des gewünschten Teilnehmers in Form von digitalen Daten mitgeteilt. So etwas wie Impulswahlverfahren oder Tonwahlverfahren gibt es bei ISDN nicht. Während eines Wählvorgangs hört man deshalb bei einem ISDN-Telefon weder Impulse noch Töne. ISDN-Telefone unterstützen zwar auch Tonwahl, aber nur im Verbindungszustand. Die Töne werden dann verwendet, um z.B. bestimmte Leistungsmerkmale einer Tk-Anlage zu nutzen.

Ein ISDN-Verbindungsaufbau mit diesem speziellen Wahlverfahren funktioniert noch schneller als beim Tonwahlverfahren. Innerhalb von maximal 1,7 Sekunden wird eine Verbindung zu einem anderen ISDN-Teilnehmer aufgebaut. Wie schnell diese Verbindung aufgebaut wird, erkennt man am besten, wenn man an einem ISDN-Telefon zuerst die Rufnummer eines anderen ISDN-Teilnehmers eintippt und dann erst den Hörer abhebt. Noch bevor man den Hörer am Ohr hat, ist die Verbindung in der Regel schon aufgebaut und man hört den Rufton.

6.6 Dienste und Diensterkennung

Der ursprüngliche Zweck des anlogen Telefonnetzes war die Übermittlung von Sprache. Später nutzte man dann das bestehende Netz, um zu faxen oder Computerdaten zu übertragen. Um die Daten der unterschiedlichen Dienste auf die zugehörigen Endgeräte zu leiten, wird bei der analogen Telefontechnik ein Ton mit einer bestimmten Frequenz auf die Leitung gegeben. An diesem Ton erkennt beispielsweise ein Faxumschalter, dass der ankommende Ruf von einem Faxgerät ausgeht. Um diesen Ton auszuwerten, muss jedoch der Anruf angenommen werden. Diese Technik wurde in Kapitel 5 bereits beschrieben.

Bei der Entwicklung von ISDN wurde berücksichtigt, dass man dieses Netz für mehrere Dienste nutzen wird. Zwar funktioniert bei ISDN die Übertragung aller Daten nach dem gleichen Prinzip, aber für jede Art von Daten (Fernsprechen, Faxen, Computerdaten usw.) wird eine zugehörige Kennung (Dienstekennung oder Dienste-Kennung) über den D Kanal mitgesendet. Dies erlaubt es, Endgeräte so zu programmieren, dass sie nur dann einen ankommenden Ruf annehmen, wenn er von der Art des Dienstes her für dieses Gerät bestimmt sein kann. So wird z.B. ein ISDN-Faxgerät nur dann an die Leitung gehen, wenn es ebenfalls ein ISDN-Faxgerät ist, welches auf der anderen Seite der Leitung eine Verbindung wünscht. Man könnte somit theoretisch ein ISDN-Telefon und ein ISDN-Faxgeräte einfach mit der gleichen Nummer betreiben. Das Telefon wird dabei nicht läuten, wenn ein Faxanruf eingeht, das Faxgerät wird den Anruf nicht entgegennehmen, wenn es sich um ein Telefongespräch handelt. Problematisch wird dies jedoch, wenn der ankommende Ruf von einem analogen Anschluss ausgeht, weil in dem Fall keine Dienstekennung mitgesendet wird. In der Praxis wird man deshalb dem Faxgerät eine eigene Rufnummer zuweisen (dazu später mehr).

Aus dem zuvor besprochenen Anschlussbeispiel geht hervor, dass ein ISDN-Gerät schon bevor es einen Anruf annimmt, erkennt, um welchen Dienst es sich bei dem Anruf handelt. Man spricht von Diensterkennung (Erkennung des Dienstes). Die Diensterkennung ist keine Hexerei, schließlich kommunizieren die Endgeräte beider Seiten über den D Kanal auch dann mit der Vermittlungsstelle, wenn keine Verbindung besteht, also z.B. wenn eine Verbindung gewünscht wird.

Für die Kommunikation zwischen zwei ISDN-Geräten hat die Diensterkennung die Auswirkung, dass nur dann eine Verbindung hergestellt wird, wenn es sich um kompatible Dienste handelt.

Hinweis zur ISDN-Diensterkennung

Wenn Sie von einem ISDN-Telefonanschluss aus einen ISDN-Faxanschluss anrufen, bekommen Sie den Besetztton und bei einem Displaytelefon zusätzlich eine entsprechende Meldung (z.B. „Kein Teilnehmer“).

Bei analoger Telefontechnik bekommen Sie bei gleicher Prozedur den schrillen Willkommensgruß des Faxgeräts zu hören.

Die Sache mit dem Besetztton (siehe Hinweis zur ISDN-Diensterkennung) gilt natürlich auch, wenn Sie einen anderen inkompatiblen Anschluss anrufen, z.B. den Anschluss einer ISDN-PC-Karte. Falls neben der PC-Karte aber noch einem ISDN-Telefon die gleiche Nummer zugewiesen ist, geht der Ruf natürlich durch, weil sich dann das ISDN-Telefon um den ankommenden Ruf kümmert.

Der Hinweis zur ISDN-Diensterkennung ist von fundamentaler Bedeutung für den Einsatz von herkömmlichen Faxgeräten an einem ISDN-Anschluss und für die Programmierung von ISDN-Telefonanlagen. Wenn analoge Geräte, z.B. herkömmliche Faxgeräte oder Modems, an einer ISDN-Telefonanlage betrieben werden, muss man bei der Installation der Anlage für jede Nebenstelle angeben, welcher Dienst bei welcher Nebenstelle genutzt wird. Eine Nebenstelle, an der ein Faxgerät angeschlossen ist, muss auch für den Dienst Faxen konfiguriert sein. Ist dies nicht der Fall, führt dies bei Faxübertragungen (zu richtig konfigurierten ISDN-Faxanschlüssen) zwangsläufig zu Problemen.

Angenommen, Sie betreiben an einer Nebenstelle einer ISDN-Telefonanlage, an der ein Faxgerät angeschlossen ist, auch ein Telefon (was Sie aufgrund der unterschiedlichen Dienste nicht tun sollten!) Wenn der Dienst für diese Nebenstelle auf Fax eingestellt ist, können Sie von diesem Telefon aus kein Telefon eines anderen ISDN-Teilnehmers anrufen, Sie bekommen in dem Fall einen Besetztton. Wenn Sie den Dienst auf Telefonie einstellen, funktioniert das Faxen nicht. Für Verbindungen zu analogen Teilnehmern gilt dies nicht. Ich werde in Kapitel 14 hierauf nochmals näher eingehen.

So viel zur Bedeutung der Dienste und der Diensterkennung des ISDN. Für weitere Informationen hierzu verweise ich auf die Referenzdokumente der CAPI (COMMON-ISDN-API) in der Version 2. Diese sind unter capi.org öffentlich zugänglich. Suchen Sie in diesen Dokumenten nach den so genannten CIP2 values. In einer Tabelle sind dort sämtliche Dienste (Sprache, Datenübertragung, Fax Gruppe 3, Fax Gruppe 4, Teletex, Video usw.) mit ihren Kennungen aufgeführt.

1 Claude Elwood Shannon, US-amerikanischer Mathematiker und Informationstheoretiker (1916–2001)

2 CIP: Compatibility Information Profile