„Führung heißt: Nicht wegsehen, wenn es ernst wird“

Wie Wolfgang Decker von der Technik zur Transformation kam – und warum er Führung nicht als Status, sondern als Haltung versteht

Von der Elektrotechnik zum Executive Advisor: Wolfgang Decker hat viele Rollen ausgefüllt, Projektleiter, Bereichsverantwortlicher, Geschäftsführer, Hochschullehrer. Doch einen prägenden Moment vergisst er bis heute nicht: ein heißer Sommertag, eine Vorlesung im Hauptstudium – und ein Professor, der den Raum kurz anhält, weil er merkt, dass seine Studierenden längst abgeschaltet haben.

Damals, in der Vorlesung zur Simulation und Optimierung dynamischer Systeme, zog Professor Dr. Dr. Karl Mentz ein Blatt Papier aus seiner Tasche – sinnbildlich ein Zeugnis – und sagte: „Irgendwann werdet ihr das brauchen. Dann werdet ihr es hervorholen und sagen: Ich bin gut genug. Ich kann auch woanders etwas werden.“

Für Decker war dieser Satz ein Wendepunkt. Weniger wegen der Worte – mehr wegen der Haltung dahinter: „Ich habe damals verstanden: Ich mache das hier nicht für Mentz, nicht für Noten oder Erwartungen, sondern für mich – um frei entscheiden zu können, wohin ich gehe“, sagt er.

Technischer Einstieg, strategische Wende

Nach dem Abschluss seines Studiums der Elektro- und Ingenieurinformatik an der Hochschule Kaiserslautern begann Decker seine Laufbahn bei BMW – mit einer Diplomarbeit zur Alterung elektronischer Komponenten im realen Einsatz. Es folgten Stationen bei Roche in Basel, General Accident, Giesecke+Devrient sowie Accenture. Dort übernahm er zunehmend Verantwortung für großvolumige Transformationsprojekte im industriellen Umfeld – unter anderem im Bereich Industry X.0.

Bei Accenture leitete er als Geschäftsführer ein über 250-köpfiges Team, koordinierte internationale Programme, betreute Kunden in regulierten Industrien. „Ich wurde oft dann geholt, wenn es ernst wurde – wenn Projekte ins Stocken geraten oder Systeme zu kippen drohten“, erinnert er sich. Was für ihn dabei zählt, ist nicht das Werkzeug, sondern die Denkweise: Nicht das Tool entscheidet – sondern die Klarheit im Handeln.“

Rolle statt Titel

2019 folgte der bewusste Schritt raus aus der Konzernkarriere – und damit auch aus seiner Rolle als Geschäftsführer bei Accenture, wo er für den Bereich Digital Industry X.0 verantwortlich war. Ihm war klargeworden: „Ich will das hier nicht bis zur Rente machen.“

Es zog ihn zurück in den Mittelstand, denn, wie er sagt: „Im Mittelstand hat der Shareholder noch eine Stimme – und manchmal sogar das Büro nebenan.“

Heute begleitet er als Interim Executive vor allem mittelständische Unternehmen – meist dann, wenn Geschwindigkeit, Richtung und Führung gefragt sind.

Daneben lehrt er als Professor an der Hochschule der Bayerischen Wirtschaft in München. Dort vermittelt er technische und wirtschaftliche Grundlagen, aber vor allem den Mut, Verantwortung zu übernehmen: „Ich will keine Linientreue, sondern Menschen, die sich selbst vertrauen.“

Auch sein heutiger Blick auf Lehre und Führung ist bis heute geprägt von Persönlichkeiten, die ihn früh begleitet haben: Professor Kurt Neumeier, der ihn einst für die Diplomarbeit bei BMW empfohlen hatte. Oder Professoren wie Volker Ruby und Helmut Johanni, die, wie er sagt: „nie Führung eingefordert, aber immer vorgelebt haben.“

Haltung als Herkunft

Auch seine Wurzeln nennt Decker als Einfluss – nicht im Lebenslauf, sondern im Charakter:
„Ich komme aus dem Saarland. Da, wo der Schwenker nicht nur ein Grillgerät ist, sondern eine Lebenseinstellung. Wo man mit Lyoner, Urpils und einer klaren Meinung ziemlich weit kommt – auch ohne Vitamin B.“

Die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, sieht er nicht als Privileg der Hierarchie.
„Ich bin kein Influencer und auch nicht mehr Geschäftsführer bei einer der größten Unternehmensberatungen der Welt. Aber ich weiß, dass ich in kritischen Situationen wirksam war, und dass ich mehr als einmal verhindert habe, dass Millionen verbrannt und Zukunft verspielt wurde.“

Ein Impuls, der bleibt

Dass sein beruflicher Weg mit einem einzigen Satz in einer hitzestauenden Vorlesung begann, sieht Decker heute nicht als Anekdote, sondern als Schlüssel.
„Führung ist kein Status. Es ist die Verantwortung, nicht wegzusehen.“

Steckbrief

Name:              Wolfgang Decker
Ausbildung:     Elektrotechnik / Ingenieur-Informatik, Hochschule Kaiserslautern (1991)
Beruf:               Professor für Wirtschaftsingenieurwesen & Interim Manager
Fokus:              IT/OT Konvergenz, ERP, MES, Industrie 4.0 im gehobenen industriellen Mittelstand
Stationen:        BMW, Roche, General Accident, G+D, Accenture
Ort (heute):      München
Leitsatz:          „Führung heißt, nicht wegzusehen, wenn es ernst wird.“