„Der Mensch muss am Ende entscheiden“
Künstliche Intelligenz kann nicht nur lustige Bilder und Lieder generieren. Sie kann auch zu einer wichtigen Hilfe im Gesundheitswesen werden. Im Gespräch mit RHEINPFALZ-Redakteur Maximilian Schenk spricht Hochschul-Professor Norbert Rösch über die Chancen und Risiken dieser noch jungen Technologie.
Herr Rösch, Sie sind Professor für Informatik, Medizinische Dokumentation und Gesundheitsmanagement. Wie sieht Ihre Arbeit aus?
Ich bin Ingenieur und Gesundheitswissenschaftler. Das Ziel ist die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Dadurch, dass wir überall Fachkräftemangel haben und wir Werkzeuge brauchen, um die Fachkräfte in ihrer täglichen Arbeit zu unterstützen, setzen wir Computer und Software ein, damit Prozesse im Gesundheitswesen besser ablaufen können. So sollen weniger Fehler passieren und Entscheidungen schneller und korrekt getroffen werden – die Patienten sollen bestmöglich versorgt werden, obwohl weniger Fachkräfte dafür verfügbar sind. Dafür gibt es computerunterstützte Entscheidungsfindungen. Heißt: Ähnlich wie uns ein Navigationssystem beim Fahren hilft, hilft hier der Computer dabei, einen Patienten gut durchs Gesundheitssystem zu führen.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Man kann Regeln machen. Wenn beispielsweise jemand über 37,8 Grad Fieber hat, müssen wir da was tun. Das sind einfache Algorithmen, die ein Computer sehr schnell einprogrammiert bekommen kann. Diese Regeln lassen sich gut verifizieren und prüfen. Wenn es möglich ist, eine Regel zu definieren, dann nutzen wir das gerne, etwa wenn es schon medizinische Leitlinien gibt, wie eine Behandlung abzulaufen hat. Diese Leitlinien kann der Computer nutzen, um Tipps zu geben.
Welche Rolle spielt dabei Künstliche Intelligenz (KI)?
Durch das, was wir Künstliche Intelligenz nennen, gibt es immer mehr Möglichkeiten, dass sich Computer selbst solche Regeln ableiten. Der Computer bekommt also nichts mehr einprogrammiert. Er wird gebeten, sich selbst Wissen aufzubauen, mit dem er Entscheidungen treffen oder bei Entscheidungen unterstützen kann. Das ist Teil meiner Forschungsarbeit. Ein Ansatz, den wir hier verfolgen, ist, den Patienten und seine Angehörigen direkt in die Versorgung einzubinden. Das ist natürlich schwieriger, weil wir mit Menschen zu tun haben, die nicht immer die Fachkenntnisse haben und in der Wortwahl vielleicht nicht ganz genau sind. Wir hatten zum Beispiel mal ein Projekt mit dem Deutschen Allergie- und Asthmabund. Da ging es darum, zu interpretieren, was jemand gegessen hat, was für Symptome er hat und ob es Anzeichen gibt, dass es eine Nahrungsmittelallergie ist.
Wie kann KI dem Gesundheitswesen von Nutzen sein?
Auf mehreren Ebenen. Das eine, woran wir natürlich zuerst denken, ist, den Patienten direkt in die Diagnostik einzubinden. Also seine Daten zu erheben, damit diese von der Maschine interpretiert werden. Ein Beispiel, das auch heute schon genutzt wird, ist die Auswertung digitaler Röntgenbilder. Der Computer bringt sich selbst bei, nach gewissen Auffälligkeiten und Mustern zu schauen. Das ist etwas, bei dem eine KI schnell und sehr gut im Tandem mit dem Arzt agieren und helfen kann. Das ist aber natürlich auch mit dem Risiko verbunden, dass die Daten dann falsch interpretiert werden könnten. Das geht einem menschlichen Arzt genauso, der kann auch Fehler machen. Man kann KI auch benutzen, um administrative Prozesse zu optimieren. Zum Beispiel, um vorherzusagen, wann es besonders viele Unfälle gibt oder vermehrt Infektionskrankheiten auftreten, um zu sagen: Hier brauchen wir mehr Personal. Es ist auch möglich zu analysieren, welche Maßnahmen besonders effektiv waren. Dann würde man nicht den einzelnen Patienten beurteilen, sondern eher die Gesamtabläufe des Gesundheitswesens.
Worin liegen die größten Herausforderungen?
Schwierig wird es, wenn wir keine digitalen Datensätze haben oder wir diese erst aufwendig digitalisieren müssen. Ein gescanntes PDF hilft niemandem. Die Datenaufbereitung ist enorm wichtig und dabei dürfen natürlich keine Fehler passieren. Am besten funktioniert der Einsatz von KI immer, wenn wir voll digitalisierte Arbeitsabläufe haben. In der Radiologie sind wir da schon ziemlich weit, ebenso in der Labordiagnostik. Immer wenn es einen Medienbruch gibt von Papier zum Digitalen und wieder zurück und wir müssen das eine ins andere übertragen, haben wir ein Problem. Außerdem brauchen wir standardisierte Datenformate. Solche Technologien zu nutzen und auf die Medizin anzuwenden, ist grundsätzlich eine Sache für sich.
Warum?
Man kann zum Beispiel Chat GPT nach medizinischen Inhalten befragen. Das weiß durch seine Quellen über Gott weiß was Bescheid, aber es ist nicht auf medizinische Anwendungen spezialisiert. Deshalb ist es auch nicht erlaubt, das zu diagnostischen Zwecken zu nutzen. Was wir brauchen, sind zertifizierte Medizinprodukte. Deren Herstellung und die Zertifizierung von KI in diesen Produkten ist gerade ein Riesenthema. Vertrauen kann aber nur da sein, wenn die Produkte wirklich gut sind, gut getestet sind.
Vielen Menschen bereitet das Thema KI Sorgen. Können Sie das nachvollziehen?
Ja, natürlich. Es gibt mehrere Sachen, die man beachten muss. Das eine ist die Auswirkung auf die Gesellschaft – auch auf die Fachberufe. Es gibt zum Beispiel schon lange Navigationsgeräte in Autos und Handys. Wir verlassen uns sehr darauf, dass das Navi schon weiß, wo man hinfahren soll. So entsteht aber eine Abhängigkeit und wir wollen eben nicht, dass Ärzte und Pfleger abhängig werden von der KI, sondern dass sie das als Zusatzinformation, als Hinweisgeber betrachten. Der kritische Blick auf solche Unterstützungssysteme darf nicht verloren gehen. Der Mensch muss am Ende entscheiden, das halte ich für sehr wichtig. KI funktioniert nur mit gesundem Menschenverstand.
ZUR PERSON
Norbert Rösch, Jahrgang 1968, lebt in Trier und arbeitet seit Oktober 2013 am Zweibrücker Standort der Hochschule Kaiserslautern. Der Ingenieur und Gesundheitswissenschaftler ist dort als Professor für Informatik, Medizinische Dokumentation und Gesundheitsmanagement tätig. Sein Studium und seine Promotion absolvierte er in Gießen, Bielefeld und Köln.
ZUR SACHE
Medizininformatik: Der Standort Zweibrücken der Hochschule Kaiserslautern ist einer der wenigen in Deutschland, an dem Medizininformatiker ausgebildet werden. „Sie verstehen sowohl das Medizinische, als auch das Programmiertechnische und die Risikobewertung, um alle Anforderungen zu erfüllen“, sagt Hochschul-Professor NorbertRösch. Aus diesem Grund seien die Absolventen in der Industrie, der Forschung und bei Unternehmen sehr gefragt.
Weitere Informationen zu dem Studiengang gibt es onlineunter www.hs-kl.de/informatik-undmikrosystemtechnik/studiengaenge/medizininformatik
Text: Maximilian Schenk
Veröffentlicht: DIE RHEINPFALZ / Zweibrücker Rundschau, 7. August 2024